Studieren mit Gepäck: Psychische Belastungen im Studium 

Viele Studierende „Studieren mit Gepäck“. Das PR2-Team informiert unter diesem Titel über psychische Belastungen.
Zur Kommunikation nutzen sie hierbei vor allem Instagram (@studierenmitgepaeck)

Leerer Campus, dafür Online-Vorlesungen und Lerngruppe per Videokonferenz: Die Pandemie hat auch die Hochschulwelt komplett verändert. Das, was vorher analog und gemeinsam mit Kommiliton*innen stattgefunden hat, gibt es seit zwei Jahren fast nur noch digital. Und diese Art des Studierens hinterlässt Spuren bei den Studierenden. Sie berichten von Depressionen, Angststörungen und Einsamkeit. Studierende der Sozialen Arbeit informieren auf ihrem Instagramkanal „Studieren mit Gepäck“ und dem gleichnamigen Podcast über psychische Belastungen und wollen sich mit Betroffenen austauschen. Wir haben mit ihnen und dem Leiter des Projekts, Prof. Andreas Speck, über das Angebot gesprochen.

Frau Giermann, Herr Philipp, Sie sind zwei von sechzehn Studierenden, die sich in ihrem PR2 mit psychischen Belastungen während des Studiums befassen und unter dem Titel  „Studieren mit Gepäck“ darüber aufklären. Sie nutzen dafür unter anderem Instagram. Wie kam es zu dieser Idee?

Patrick Philipp: Durch Corona und den Lockdown war das Thema besonders präsent. Plötzlich waren wir alle zu Hause und mussten schlagartig auf persönliche Treffen verzichten. Für Viele war und ist das eine immense Belastung. Das wollten wir aufgreifen.

Julia Giermann: Prof. Speck hat für das PR2 ein Projekt zum Thema Prävention psychischer Erkrankungen ausgeschrieben. Als wir in unserem ersten Treffen überlegt haben, wie wir das Thema angehen können, kamen wir auf die Idee mit dem Instagram-Kanal. Wir wollen über psychische Belastungen während des Studiums aufklären, aber auch in den Austausch mit Studierenden kommen und als direkte Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Wir wollen offen über dieses Thema sprechen, Betroffenen helfen und ihnen sagen, an wen sie sich wenden können. Die sozialen Medien sind dafür naheliegend und mit Instagram können wir unsere Zielgruppe am besten erreichen.

Herr Prof. Speck, was interessiert Sie besonders an dem Projekt?

Prof. Dr. Andreas Speck: Ich habe den thematischen Rahmen vorgeschlagen, die Studierenden haben dann ihre Ideen eingebracht und das Angebot autonom entwickelt. Was ich bei dem Thema besonders spannend finde, ist die Frage, wie wir die Studierenden am besten erreichen können. Es gibt ja nun mal biographische Unterschiede zwischen mir als Professor und den Studierenden. Dieses Projekt geht in die Richtung einer Peer-Beratung: Die Studierenden sprechen aus ihrem Lebenshintergrund, aus eigener Erfahrung. Meine Zeit als Student liegt schon länger zurück und als Professor kann ich mich dementsprechend schwieriger in die Situation Studierender versetzen. Besonders die Studierenden, die während der Pandemie ihr Studium aufgenommen haben, hatten hohe Erwartung an die Zeit des Studiums – Austausch mit anderen Studierenden, eine sehr soziale Zeit, vielleicht einen Partner oder eine Partnerin kennenzulernen, das erste Mal zu Hause ausziehen. Die Realität waren dann Vorlesungen online, allein zu Hause. Die Studierenden sind einfach näher an diesen Problemen dran und so können entsprechend kommunizieren.

Über psychische Belastungen oder Erkrankungen zu sprechen, galt lange als Tabu. Hat sich das inzwischen geändert?

Philipp: Das Thema war sehr lange ein Tabu und wir merken, dass mittlerweile mehr darüber gesprochen wird. Unser Kanal ist schließlich auch ein Teil dieser gesteigerten Aufmerksamkeit und Offenheit für dieses Thema.

Prof. Speck: Auch aus wissenschaftlicher Sicht ist nachweisbar, dass die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, wie etwa Depressionen oder Angststörungen zurückgegangen ist, wozu auch die stärkere Berichterstattung in der Coronazeit beigetragen hat. Anders ist das zum Beispiel bei den Suchterkrankungen, über die immer noch sehr wenig gesprochen wird.

Sie haben es bereits gesagt, die Pandemie war für die meisten von uns eine große Belastung. Wie erkenne ich, ob ich nur schlechte Laune habe oder ob sich eine psychische Erkrankung anbahnt?

Prof. Speck: Es geht uns nicht darum, Diagnosen zu stellen. Ich muss kein Buch aufschlagen und nachschlagen, ob ich eine psychische Erkrankung habe oder nicht. Entscheidend ist das Gefühl, dass es uns nicht gut geht, dass wir uns in unserer Haut nicht mehr wohlfühlen, wir überfordert sind und allein das Aufstehen am Morgen schon zu viel ist. Wenn das der Fall ist, ist es sinnvoll, sich Unterstützung zu suchen. Dabei ist eine Selbststigmatisierung nicht förderlich. Es sollte nicht schambehaftet sein, denn es ist ein Zeichen von Stärke, offen darüber zu sprechen. Jeder erlebt Krisen, das kann ganz unterschiedliche Hintergründe haben. Wir alle haben Steine im Gepäck.
Covid hat bei sehr vielen Menschen zu psychischen Belastungen geführt und das besonders bei den Studierenden, die sich auf das soziale Miteinander gefreut haben. Ich glaube, wir haben alle eine Anfälligkeit dafür und brauchen bestimmte Ressourcen, um sie zu bewältigen. Durch die Pandemie ist etwa die Möglichkeit weggefallen, sich mit unseren Freunden oder der Familie zu treffen und direkt über erste Probleme sprechen zu können.

Hier setzt „Studieren mit Gepäck an“. Wie helfen Sie betroffenen Studierenden?
Giermann:Wir haben unser Studium noch nicht beendet und könnten, dürften auch keine Psychotherapie oder ähnliches ersetzen. Wir wollen den Betroffenen eine Möglichkeit geben, uns niedrigschwellig zu kontaktieren, um so die erste Hürde zu nehmen. Wir schauen dann zusammen nach den Bedürfnissen und vermitteln passende Anlaufstellen, wie etwa das Angebot unserer Kommiliton*innen aus der Beratung, ein offenes Ohr.

Philipp: Genau, wir verstehen uns als Brücke.

Prof. Speck: Sie sind zwar noch nicht befähigt, Beratungen durchzuführen. Aber das müssen Sie auch gar nicht. Meist hilft auch der richtige Blick für das Problem und ein einfühlsames Gespräch führen zu können. Wichtig sind hierbei aber auch die Grenzen: Was kann ich als Student*in leisten und wann ist es ratsam, auf geeignetere Gesprächspartner*innen zu verweisen? Der Fokus liegt hier auf der Prävention und darauf, Impulse zu geben.

Ihr PR2 neigt sich bald dem Ende zu. Wie geht es in diesem Semester weiter?

Giermann: Ja, wir haben bereits tolle Rückmeldungen bekommen und werden auch in diesem Semester weitere Podcast-Folgen aufnehmen und unseren Instagramkanal fortführen, allerdings in geringerem Maße als im vergangenen Semester.
Die andere Hälfte unseres Projektteams plant noch eine Veranstaltung zu dieser Thematik.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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Über das PR2 im Studium der Sozialen Arbeit

Anknüpfend an die Praktikumserfahrungen geht es am Ende des Bachelor-Studiums Soziale Arbeit um einen planvollen und der persönlichen Motivation und Kenntnislage angemessenen Übergang in den Beruf oder in ein weiteres Ausbildungsstadium.
Das hierfür erforderliche Modul Berufliche Vorbereitung (PR2) ist sozialarbeiterischen und wissenschaftlichen Aufgabenstellungen der beruflichen Praxis gewidmet, die in Form von Projekten, durchzuspielen gilt. Dabei sollen die Studierenden die erlernten Methoden der Sozialen Arbeit kritisch reflektieren und die üben, die wissenschaftlichen Erkenntnisse anzuwenden.
Auf der Grundlage der bisherigen Studieninhalte entwickeln die Studierenden mit
Bezug auf ihr zukünftiges Handlungsfeld eine adäquate, berufs- oder forschungs-
praktisch ausgerichtete Fragestellung, die in eigenständiger Verantwortung in Projektform zu bearbeiten ist.


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