„Gesunde Ernährung sollten wir zu unserer Gewohnheit machen!“ – Interview mit Professorin Dr.in Flögel

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Frau Prof.in Dr.in Anna Flögel

Immer mehr Menschen setzen sich ihrer Gesundheit zuliebe mit der Ernährung auseinander. Doch wie sieht eine gesunde Ernährung eigentlich aus? Das haben wir Dr.in Anna Flögel gefragt. Sie ist seit Januar Professorin in Diätetik, Ernährungskommunikation und Gesundheitswissenschaften im Studiengang Diätetik an der Hochschule Neubrandenburg.

Frau Prof.in Dr.in Flögel, der Januar liegt gerade hinter uns. Ein Monat, in dem viele Menschen mit guten Neujahrsvorsätzen in das neue Jahr starten. Sich gesünder zu ernähren, gehört dabei zu den beliebtesten Vorsätzen. Was bedeutet es aus wissenschaftlicher Sicht, sich gesund zu ernähren?

In Deutschland gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) aktuelle und evidenzbasierte, das heißt wissenschaftlich fundierte, Empfehlungen zu einer gesunden und ausgewogenen Ernährung heraus. Dazu gehören unter anderem die Lebensmittelvielfalt zu nutzen, mindestens fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag zu verzehren, Vollkornprodukte und ungesättigte Pflanzenöle auszuwählen, tierische Lebensmittel, Zucker und Salz nur maßvoll zu konsumieren sowie hauptsächlich Wasser zu trinken. Um diese Regeln umzusetzen kann es helfen, sich die Herkunft und Verarbeitung der Lebensmittel genauer anzuschauen. Hochverarbeitete Lebensmittel wie Fertigprodukte sind beispielsweise häufig sehr fett-, zucker- und salzhaltig und daher ungünstiger für unsere Gesundheit als unverarbeitete Lebensmittel. Eine weitere wichtige Regel der DGE ist es achtsam zu essen und zu genießen, also z. B. gemeinsame Mahlzeiten am Tisch einzunehmen statt alleine vor dem Laptop zu essen.

Der stressige Alltag, lange Tage an der Hochschule oder zu Hause in der Quarantäne – Es gibt zahlreiche Situationen, in denen wir unsere Vorsätze ganz schnell vergessen und lieber nach einem Schokoriegel als nach einem Apfel greifen. Haben Sie Tipps, wie eine gesunde Ernährung langfristig gelingt?

Es gibt ein schönes Sprichwort: „Man nimmt nicht zwischen Weihnachten und Neujahr zu, sondern zwischen Neujahr und Weihnachten.“ In einer langfristigen Ernährungsumstellung liegt die eigentliche Schwierigkeit. Wir sollten versuchen, die gesunde Ernährung zu unserer Gewohnheit zu machen, damit wir diesen Prozess automatisieren und nicht mehr viel darüber nachdenken. Wir können dabei unser Umfeld so gestalten, dass es sehr niederschwellig ist, die gesündere Entscheidung zu treffen, z. B. reichlich Obst und Gemüse sichtbar im Haus zu platzieren und fett- und zuckerhaltige sowie hochverarbeitete Produkte von unserer Einkaufsliste zu streichen. Regelmäßige und bewusst eingenommene Hauptmahlzeiten helfen zudem das „Snacken“ zwischendurch zu reduzieren. Diese kurzen Fastenperioden bieten unserem Körper überhaupt erst die Chance, Fettreserven abzubauen. Am besten ist es natürlich zudem, den Stress im Alltag zu reduzieren, denn dieser bedingt eine ungünstige fett- und zuckerhaltige Ernährung. Beobachten Sie einmal, in welchen Situationen Sie zum Schokoriegel greifen.

Der „Veganuary“, also ein veganer Januar, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Allgemein ist es ein wachsendes Bedürfnis vieler Verbraucherinnen und Verbraucher, sich nicht nur gesünder, sondern auch nachhaltiger und sozialverträglicher zu gestalten. Wie lässt sich das umsetzen?

Das Thema Nachhaltigkeit ist auch eine aktuelle und wichtige Debatte in der Ernährungswissenschaft. So liefert die Wertschöpfungskette der Lebensmittel vom Erzeuger zum Verbraucher beispielsweise einen großen Anteil an den weltweiten CO2 Emissionen. Es stellt sich die Frage, wie wir uns und unsere stetig wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft in den planetaren Grenzen ohne Ressourcenausschöpfung ernähren können. Zu diesem Thema wurde eine weltweite Expertenkommission (EAT-Lancet) gegründet, welche kürzlich das Konzept der sogenannten planetaren Ernährung entwickelt hat, die zugleich gesund und nachhaltig ist. Die planetare Ernährung beinhaltet unter anderem, dass Obst und Gemüse die Hälfte unserer täglich verzehrten Lebensmittel ausmachen. Außerdem sollten wir mehr pflanzliche Proteine, z. B. aus Hülsenfrüchten und Nüssen, sowie nur geringe Mengen an Fleisch verzehren.    

Gibt es einen Ernährungstrend, den Sie derzeit besonders spannend finden?

Ich finde die eben erwähnte planetare Ernährung sehr spannend, da sie eine win-win-Situation für unsere Gesundheit und unseren Planeten darstellt. Ich forsche derzeit z. B. daran, ob und inwieweit eine solche planetare Ernährung bei europäischen Kindern und Jugendlichen schon umgesetzt wird und welche Einflussfaktoren eine solche Ernährung begünstigen. 

Welche wissenschaftliche Erkenntnis zur Ernährung hat Sie bisher am meisten überrascht?

Das war weniger eine wissenschaftliche als mehr eine praktische Erkenntnis. Ich hatte während meines Studiums ein Praktikum zur Ernährungsberatung bei Kindern in einem sozialen Brennpunktviertel absolviert. Dabei wurde mir klar, dass die ungünstige Ernährung der Kinder und das starke Übergewicht nicht die eigentliche Krankheit waren, sondern eher ein Symptom für etwas Anderes. Die Ursachen lagen viel tiefer und waren psychologischer und sozialer Natur, von Scheidung der Eltern bis hin zu Missbrauchserfahrungen. Die ungünstige Ernährung war für diese Kinder ein Ventil, über das Dampf abgelassen wurde und das starke Übergewicht eine Art Schutzpanzer. Wissenschaftlich betrachtet kann man sagen, dass die Ernährung eine sehr stark ausgeprägte soziale und psychologische Komponente hat, die wir in der Praxis beachten müssen.

Verraten Sie uns zum Schluss ihr Lieblingsessen?

Ich esse tatsächlich gerne Rosenkohl.

Vielen Dank, Frau Prof.in Dr.in Flögel.

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Zum 01.01.2022 wurde Frau Prof. Dr. Anna Flögel als neue Professorin in Diätetik, Ernährungskommunikation und Gesundheitswissenschaften im Studiengang Diätetik an der Hochschule Neubrandenburg ernannt. Prof. Flögel studierte Ernährungswissenschaften an der Universität Potsdam und der University of Connecticut (USA) sowie Public Health an der Berlin School of Public Health/ Charité Berlin. Sie promovierte und forschte im Bereich Epidemiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Zuletzt war sie am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen tätig. In ihrer Forschung wertet Prof. Flögel große europäische Kinder- und Erwachsenenkohorten zu Ernährungs- und Gesundheitsthemen aus.


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