Artenvielfalt und Gefährdung der Hochmoorschmetterlinge im Europäischen Tiefland

Hochmoor-Scheckenfalter © R. Sommer
Blick in ein Hochmoor im Harz, Niedersachsen © R. Sommer

Hochmoore sind sensible und einzigartige Lebensräume. Neben speziellen Eigenschaften im Wasserhaushalt und den vorherrschenden ökologischen Bedingungen bieten sie unter anderem hoch spezialisierten Tier- und Pflanzenarten ein Refugium. Durch die Verdunstung des Wassers ist die Temperatur in Hochmooren kälter als in der umliegenden Landschaft. Besonders in heutiger Zeit, wo wir die durch der übermäßigen CO2 Ausstoß bedingte Klimaerwärmung aufhalten wollen, kommt zudem den Hochmooren eine überragende Bedeutung als Kohlenstoffsenken zu. Daher stehen Hochmoore nicht nur als Lebensräume, sondern auch als wirksame Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel im Fokus unserer Gesellschaft. Jedoch können nur naturnahe bzw. funktional wenig beeinträchtigte Bereiche der Hochmoore als aktive Kohlenstoffsenken dienen. Während in Deutschland über 90% der Moorflächen (alle Moortypen, wie u. a. Niedermoore) durch Entwässerung beeinträchtigt bzw. stark gestört sind, existieren in Osteuropa heute noch vergleichsweise großflächige intakte Moorlandschaften mit zum Teil riesigen, noch relativ unbeeinträchtigten Hochmooren.

Zwei Wissenschaftler aus Mecklenburg-Vorpommern, Prof. Dr. Robert Sommer (Hochschule Neubrandenburg) und Dr. Volker Thiele (Institut biota, Bützow) haben in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Schleswig Holstein, Polen, Litauen und Weißrussland in einer wissenschaftlichen Studie die Artenvielfalt von hochmoorgebundenen Tagfaltern in weiten Teilen des europäischen Tieflands untersucht. Diese mit wenigen Arten vertretenen und hoch spezialisierten Moorbewohner sind einerseits auf die Hochmoore als Kälteinseln und ein wasserdampfgesättigtes Mikroklima angewiesen, andererseits benötigen sie für den Fortbestand ihrer Populationen Pflanzen, die nur in Hochmooren mit gehölzarmen Moorkörpern wachsen. Das sind zum Beispiel die Moosbeere, die Rauschbeere, die Glocken-Heide und der Sumpfporst. Aufgrund der vornehmlich durch Torfabbau oder Entwässerung bedingten Beeinträchtigungen der Hochmoore sind die Funktionen dieser Ökosysteme für ihre spezialisierten Bewohner oft weiträumig beeinträchtigt. Daher stehen etliche Arten bei den Libellen oder Schmetterlingen auf der Roten Liste oder sind regional sogar vom Aussterben bedroht. Andere Arten, wie der Hochmoor-Gelbling, sind in Mecklenburg-Vorpommern bereits im zwanzigsten Jahrhundert ausgestorben. Nun kommt ein zweites, massives Problem auf diese spezialisierten Schmetterlinge und Libellen zu: durch den Klimawandel sind die "Kälteinseln" in der Landschaft gefährdet, welche die einzigen "Refugien" dieser hochmoorgebundenen Arten darstellen.

Robert Sommer und Volker Thiele haben in Zusammenarbeit mit ihren Kollegen das Verbreitungsmuster und das Vorkommen von hochmoorgebundenen Tagfaltern aus über 100 Hochmooren im europäischen Tiefland untersucht. Dabei lag der Fokus der Studie unter anderem darauf, in wieweit sich die in Westeuropa im Vergleich zu Osteuropa wesentlich umfangreichere Zerstörung und Beeinträchtigung der Moore auf die Artenvielfalt von sogenannten "Moorspezialisten" bei Tagfaltern ausgewirkt hat. Es zeigte sich, dass es einen auffälligen Gradienten zwischen den Gebieten in Osteuropa und Westeuropa gibt. Während in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt etwa eine hochmoorgebundene Tagfalterart vorkam, waren es in den Mooren von Litauen drei und in den Mooren im Norden Weißrusslands sogar vier Arten. Ebenso deutlich konnte das prozentuale Auftreten einzelner hochmoorgebundenen Tagfalterarten in diesem geografischen Gradienten gezeigt werden: Der Randring-Perlmuttfalter, der in Mecklenburg-Vorpommern in den letzten 20 Jahren nur in einem einzigen Moor nachgewiesen wurde und mittlerweile möglicherweise schon in unserem Bundesland ausgestorben ist, wurde im polnischen Teil in fast 40%, im litauischen Untersuchungsgebiet zu fast 65 % und im Norden Weißrusslands zu 100 % (also in jedem untersuchten Hochmoor) nachgewiesen. Bei anderen Arten zeigte sich ebenso ein Unterschied von Westeuropa nach Osteuropa. So ist der Hochmoorbläuling in den untersuchten Hochmooren aus Schleswig-Holstein nach den Erkenntnissen von Dr. Detlef Kolligs von der Stiftung Naturschutz Schleswig Holstein, einem Co-Autor der Studie, bereits ausgestorben, aber noch in 29 % der Hochmoore Mecklenburg-Vorpommerns zu finden. Hingegen kommt die genannte Art noch in 56 - 67 % der Hochmoore in den osteuropäischen Teilen des Untersuchungsgebietes vor. In der Studie zeigte sich, dass der Hochmoor-Scheckenfalter der einzige "Moorspezialist“ unter den Tagfaltern ist, der ein kontinuierliches Vorkommen in den Hochmooren West- sowie Osteuropas hat, auch wenn diese Art in den osteuropäischen Mooren fast doppelt so häufig anzutreffen ist, wie in den Mooren von Mecklenburg-Vorpommern.  
  
In der Studie wurden auch die ökologischen Präferenzen und der unterschiedliche Grad der Hochmoorbindung einzelner Tagfalterarten in den einzelnen Ländern untersucht. In diesem Kontext wurden Arten identifiziert, die besonders geeignet sind, um als Zielarten für die Renaturierung von Hochmooren zu fungieren. Das bedeutet, dass es im Rahmen einer Renaturierung eines Hochmoores das planerisch festgelegte Ziel wäre, das Moor soweit wieder zu revitalisieren, dass diese "Zielarten" geeignete Lebensbedingungen finden. Dafür wurden aus den Ergebnissen der Studie der Hochmoor-Scheckenfalter und auch der Hochmoor-Bläuling vorgeschlagen. Es geht aber nicht darum, ein paar "Schmetterlings-Enthusiasten" mit über Moorwiesen gaukelnden seltenen Arten glücklich zu machen. Vielmehr sollen diese "Zielarten" ein Teil eines ausgewählten Tierartenkollektivs bei der Renaturierung westeuropäischer Moore sein, welche durch ihr Vorkommen den Erfolg bei Moorrenaturierungen, und damit der Wiederherstellung komplexer landschaftsökologischer Funktionen dieser Ökosysteme für hochmoorgebundene Tier- und Pflanzenarten, anzeigen.

Originalpublikation:
Sommer, R. S, Thiele, V., Sushko, G., Sielezniew, M., Kolligs, D., Dapkus, D. (2022): The distribution pattern of mire specialist butterflies in raised bogs of the northern lowlands of Central Europe. Nota Lepidopterologica 45: 41-52.

 

Online:https://nl.pensoft.net/article/75182/

 

 

Kontakt:
Prof. Dr. Robert Sommer
Hochschule Neubrandenburg
Professur für angewandte Zoologie, Tierökologie und Naturschutz
Telefon: 0395 56934504
Email: sommer@hs-nb.de

Dr. Volker Thiele
biota – Institut für ökologische Forschung und Planung, Bützow
Telefon: 038461 91670
Email: volker.thiele@institut-biota.de


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