Die Hintergründe der Aufsiedlung in den 1920er und 30er Jahren

Nach dem Ersten Weltkrieg führten eine wachsende Arbeitslosigkeit und die Abwanderung ländlicher Arbeitskräfte auf den städtischen Arbeitsmarkt (Landflucht) in der Weimarer Republik zu wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Viele Großbetriebe im Norden und Osten Deutschlands arbeiteten nicht mehr rentabel und standen zum Verkauf. Staatliches Ziel war daher die Stärkung der bäuerlichen Bevölkerung, um die Kaufkraft des Binnenmarktes zu erhöhen. Durch die Förderung landwirtschaftlicher Kleinbetriebe sollte die Versorgung der Bevölkerung gesichert und interessierten Siedlerfamilien die Möglichkeit eröffnet werden, sich in schwach besiedelten Regionen eine Existenzgrundlage zu schaffen. Vor allem für das bevölkerungsarme Land Mecklenburg war die Errichtung von Bauerndörfern von großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Zusätzlich waren die im Versailler Vertrag von 1919 neu festgelegten Grenzen des Deutschen Reichs und die daraus resultierenden Gebietsabtretungen Ursache für Umsiedlungen, Vertreibungen und Bevölkerungswanderungen. Durch den Vertrag wurden im Westen Teile an Frankreich (Elsass-Lothringen) und im Osten Teile der Provinzen Westpreußen, Posen und Oberschlesiens an Polen abgetreten. In Polen lebende Deutsche standen vor der Wahl, die polnische Staatsbürgerschaft anzunehmen oder umzusiedeln. Etwa 200.000 Menschen verließen daraufhin die Polen zugesprochenen Gebiete. Dies betraf vor allem die ländliche, agrarisch geprägte Bevölkerung.

Die Regierung der Weimarer Republik versuchte u. a. mit Siedlungsprogrammen die Situation auf dem Land zu verbessern. Um Siedlern eine landwirtschaftliche Existenz und eine dichtere Besiedlung des landwirtschaftlich nutzbaren Landes zu ermöglichen, wurde am 10. August 1919 das Reichssiedlungsgesetz erlassen, welches die Entstehung landwirtschaftlicher Klein- und Mittelbetriebe regelte. Die Auffang- und soziale Ausgleichsfunktion des Gesetzes berechtigte zu massiven Eingriffen in den Großgrundbesitz. Das Gesetz verpflichtete u. a. zur Förderung und Gründung von gemeinnützigen Siedlungsunternehmungen, die neue Ansiedlungen schaffen und bestehende Kleinbetriebe heben sollten, höchstens jedoch auf die Größe einer selbständigen Ackernahrung. Eine Ackernahrung beschrieb die Mindestgröße einer landwirtschaftlichen Nutzfläche, die zur Existenzsicherung einer Familie notwendig war. Diese variierte abhängig von Zeit und Region. Zur Landbeschaffung kauften die Gesellschaften zum Beispiel Staatsdomänen und sie waren berechtigt, Moor- und Ödland für Besiedlungszwecke im Enteignungsweg in Anspruch zu nehmen. Außerdem genossen sie das Vorverkaufsrecht auf landwirtschaftliche Grundstücke. Die Siedlungsunternehmen kauften dabei auch oft Teile verschuldeter Gutsanlagen auf und errichteten Siedlungsstellen, bestehend aus unterschiedlichen Typenhäusern mit einem Wohnteil, einem Stall und einer Scheune. Auf Grundlage des Gesetzes entstanden so bis 1933 in beiden mecklenburgischen Staaten 5.178 Neusiedlerstellen auf einer Fläche von 113.746 ha.

Ab dem 14. Juli 1933 galt das Reichserbhofgesetz, welches die Höfe vor Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang bewahren sollte. Bis 1939 wurde durch das sogenannte Erbhoffeststellungsverfahren jeder fünfte Hof zum Erbhof. Ein Erbhof sollte mindestens die Größe einer Ackernahrung besitzen, höchstens aber 125 ha groß sein. Der Erbhofeigentümer wurde per Gesetz als Bauer, alle anderen als Landwirte bezeichnet. Bauer konnte nur sein, wer einen „Ahnennachweis“ vorlegte und einer Überprüfung auf „Erbtüchtigkeit“, „Ehrbarkeit“ sowie Loyalität gegenüber dem NS-Regime standhielt.

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Quellen

Abraham, M.,  Karsten, K., Lange, A., Poleske, L. 2019: Ausstellung "Eine Reise durch die Siedlungsgeschichte". Entstanden im Rahmen des Projektes: "Historische Kulturlandschaftselemente als Zeugnisse des Landschaftswandels" an der Hochschule Neubrandenburg. Link zur Ausstellung

Hartl, J. 2020: Reichssiedlungsgesetz 1919. Link zum Beitrag. Letzter Zugriff 21.5.2021.

Schilf, C. 2019: Junge Familien aus dem Rheinland, Westfalen und Franken werden zu Mecklenburgern. Link zur Arbeit. In: Dr. M. Rauchert (Hrsg.). Schriftenreihe der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes M-V. Band 6. Letzter Zugriff 21.5.2021.

Wikipedia, Die freie Enzyklopädie (Hrsg.). 2021: Reichserbhofgesetz. Link zum Beitrag. Letzter Zugriff 21.5.2021.

Wikipedia, Die freie Enzyklopädie (Hrsg.). 2021: Umsiedler. Link zum Beitrag. Letzter Zugriff 21.5.2021.

Wikipedia, Die freie Enzyklopädie (Hrsg.). 2021: Ackernahrung. Link zum Beitrag. Letzter Zugriff 21.5.2021.