Prof. Dr. Michael Succow

Erinnerungen zum Nationalparkprogramm

Am 26. Februar 1990 wurde ich zum Zentralen Runden Tisch ins Schloss Hohenschönhausen gerufen, hatte dort „das Nationalparkprogramm der DDR“ vorzustellen. Die alten Parteien der DDR waren mit ihren Beratern zugegen, aber auch die neuen Gruppierungen, die „Lila Frauen“, das „Neue Forum“, „Demokratie jetzt“ u. a. Das Konzept die Staatsjagdgebiete zu Nationalparken zu führen fand bei allen großen Wiederhall. [...]

Das Nationalparkprogram war, wie schon erwähnt vor allem die Aufgabe von Dr. Hannes Knapp. Schon Anfang Januar hatte er dazu ein erstes Papier verfasst und mir am 31. Januar das fertige Konzept übergeben. Er war der Erste, den ich einstellte. Er war zuletzt Gärtner in einem Museum, dann „arbeitslos“, bekam keine ihm angemessene Anstellung und schrieb mir in diesen „wilden Wochen“ Briefe, was es alles zu machen gilt. Die Antwort: „Hannes, jetzt keine Briefe mehr schreiben. Jetzt kommst Du zu mir ins Ministerium, jetzt können wir zusammen gestalten.“ Dieses Nationalparkprogramm ist vor allem eine Schöpfung von Hannes Knapp und natürlich auch Lebrecht Jeschke. Wir hatten uns an die Protokolle des Seminars in Wesenberg (1976) erinnert und es ist dann in Windeseile Wesentliches in Gang gesetzt worden. Große Diskussionen musste es nicht geben, wir wussten ja, was zu tun war (Wenn ich das heute mit den langen Grundsatzdiskussionen vergleiche…). Es musste damals alles sehr schnell gehen, sehr schnell gehandelt werden. „Wir haben für dieses Vorhaben eine Stunde. In dieser Stunde muss das Papier fertig werden. Wer macht das Protokoll, wer schreibt es auf?“ So war es damals. Aber es gab eben auch völlige Erschöpfung. Teilweise haben Mitarbeiter unter den Schreibtischen geschlafen. Ich hatte im Gästehaus der Regierung, im Johanneshof, zu wohnen und schlich spätabends mit letzter Kraft in meine Hotelwohnung. Am nächsten Morgen dann Pressekonferenzen, Demonstrationen, immer neue politische Ereignisse. Es war eine totale Überforderung, eigentlich die schwerste Phase meines Lebens. Und ich war erleichtert, als ich dann Mitte Mai 1990 von dieser Verantwortung befreit war. [...]

Für die Ausgrenzung/ Zonierung der neu zu schaffenden Großschutzgebiete wurden Bearbeiter benannt. Zum Beispiel Ernst Pries, der erfahrene forstliche Standortskartierer aus dem Stab von Dietrich Kopp, der in Templin seinerzeit eine Arbeitsgemeinschaft junger Naturforscher leitete, zu der auch Angela Merkel als Schülerin gehörte: „Ernst Du musst jetzt als bester Landschaftskenner das vorgesehene Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin konzipieren, ausgrenzen. In zehn Tagen muss ich das Ergebnis, die Karte haben. Keine Grundsatzdiskussion, wir haben alle keine Zeit. Wenn Du das lieferst, wird es dieses Biosphärenreservat zukünftig geben.“ „Lutz (Reichhoff), du übernimmst das Elbtal, das kleine alte Biosphärenreservat muss wesentlich größer werden.“ [...]

Die Ausgrenzung des Müritz-Nationalparks haben wir insbesondere Ulrich Meßner und Ulrich Voigtländer zu verdanken. Uwe Wegener widmete sich mit großem Sachverstand der Konzipierung des zukünftigen Nationalparks Hochharz. Ohne den Einsatz von Karl-Friedrich Abe gäbe es das Biosphärenreservat Thüringische Rhön nicht. Das der „Naturpark neuer Prägung“ Märkische Schweiz mit einer hervorragenden Verordnung in den Einigungsvertrag kam, ist vor allem Gerhard Grützmacher zu danken. In Sachsen stritten bezüglich des Elbsandsteingebirges über Wochen Wandervereine, Bergsteiger und Naturschützer, die Zeit verstrich! Ich benötigte dringend die abgestimmte Vorlage für den „Nationalpark Sächsische Schweiz“ zur Vorlage an die Regierungsbevollmächtigte in Dresden. Hannes Knapp ist dann kurzentschlossen hingefahren, die Vorlage konnte dann noch in letzter Minute fertig gestellt werden. [...]

Ende Februar war es dann schon möglich, dass dieses Programm durch den Ministerrat vorab abgesegnet wurde. Am 18. März war die erste freie Wahl und davor am 16. März fand die letzte Ministerratssitzung der Modrow-Regierung statt. Auf ihr erhielt „unser Nationalparkprogramm“ mit einer Flächensicherung von über 10 Prozent des DDR-Territoriums eine einstweilige Sicherstellung – Truppenübungsplätze, Grenzsicherungsräume und vor allem Staatsjagdgebiete wurden zu einem Netz von Naturschutzparken, Nationalparken und Biosphärenreservaten. Umgehend mit Aufbaustäben versehen, konnten so für die DDR herausragende Natur-Räume (insgesamt 23 Gebiete) einstweilig gesichert werden. Das Programm wurde nach anfänglichen Kontroversen (April/Mai 1990) weiter festgeschrieben und bekanntlich in den Einigungsvertrag aufgenommen. Die am 3. Oktober 1990 geschaffenen neuen Bundesländern widmeten sich mit generell großem Elan seiner Umsetzung. Das einzige, was nicht realisiert worden ist, ist Rügen, die Insel hatten wir als Ganzes für einen Naturpark vorgesehen. Der Widerstand vor allen Dingen des ersten Landrates war zu groß. Alle anderen Gebiete, die wir damals in die Vorschläge gebracht hatten, sind inzwischen Großschutzgebiete geworden und es ist noch manches hinzugekommen!

Literatur zum Weiterlesen

Behrens, H.; Hoffmann, J. (Hg..): Naturschutzgeschichte(n) – Lebenswege zwischen Ostseeküste und Erzgebirge. Friedland 2013.

Succow, M.; Jeschke, L.; Knapp, H.: Naturschutz in Deutschland. Berlin 2012.

Succow, M.; Jeschke, L.; Knapp, H.: Die Krise als Chance - Naturschutz in neuer Dimension. Neuenhagen 2001.

Succow, Michael. In: Behrens, H.: Lexikon der Naturschutzbeauftragten. Band 3: Naturschutzgeschichte und Naturschutzbeauftragte in Berlin und Brandenburg. Hrsg. vom Institut für Umweltgeschichte und Regionalentwicklung e.V., Friedland 2010: 851-856.

Zur Person

geboren 21.04.1941 in Lüdersdorf

Biologiestudium an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald; Promotion 1970, Habilitation 1981.

1965 bis 1969 wissenschaftlicher Assistent am Botanischen Institut der Universität Greifswald; 1969 bis 1973 Standorterkunder, später Brigadeleiter im Meliorationskombinat Frankfurt (Oder); 1970 bis 1973 Naturschutzbeauftragter des Kreises Bad Freienwalde. 1974 bis 1989 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bodenkunde der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (AdL), später Forschungszentrum für Bodenfruchtbarkeit Müncheberg, Bereich Eberswalde; 1987 Ernennung zum Professor der AdL. Von Januar bis Mai 1990 Stellvertreter des Ministers für Umweltschutz, Naturschutz und Wasserwirtschaft der DDR.

Seit 1992 Professor an der Universität Greifswald; Emeritierung 2006; nach Übergang in den Ruhestand Fortsetzung des Engagements für den Naturschutz im Rahmen der „Michael Succow Stiftung zum Schutz der Natur“.

Würdigung mit dem Alternativen Nobelpreis der Right Livelihood Award Foundation in Stockholm (1997).