Dr. Johanna Schlüter

Erinnerungen an die Lektorentätigkeit im Gustav Fischer Verlag Jena

Vordringliche Aufgabe der Lektoren war es, ein komplettes Lehrbuchsortiment – entsprechend dem Lehrprogramm des Ministeriums für das Hoch- und Fachschulwesen, das aber selber niemals aktive Hilfe bot – zu entwickeln, um von Einfuhren „aus dem Westen“ möglichst unabhängig zu werden. Das ist auch weitgehend gelungen, ja, umgekehrt: Fast alle bei uns erschienenen Lehrbücher wurden von westdeutschen Verlagen gern als – sehr preisgünstiger – Mitdruck übernommen, sie waren also in Ost wie in West im Gebrauch. Im Gegenzug erhielten die DDR-Verlage hier noch fehlende Lehrwerke oder Monographien. Alle diese „Geschäfte“, die aber nur innerhalb bestimmter Kontingente ausgehandelt werden durften, wurden über die Firma Buch-Export Leipzig abgewickelt.

In jenen Jahren lernte ich so gut wie alle führenden Botaniker, Zoologen und Vertreter benachbarter Fachgebiete sowohl in der DDR wie in der BRD und auch die für uns wichtigen westdeutschen Verleger kennen.

Neben der Ausbildungsliteratur für Studenten galt unser Interesse natürlich der Herausgabe weiterführender Fachliteratur, deren Lücken und Bedarf aufzuspüren den besonderen Reiz der Lektorenarbeit ausmachte. Dies erforderte Recherchen nicht nur in den Bibliotheken und Vorlesungsverzeichnissen, sondern vor allem viele Konsultationen und schließlich Überzeugungsarbeit bei kompetenten Fachvertretern; denn es ist eine alte Erfahrung: Angeboten werden von den Wissenschaftlern vor allem spezielle Monographien, die aber nur relativ wenige Käufer finden. Der Verleger jedoch muss schon aus ökonomischen Gründen Titel für größere Interessentenkreise entwickeln.

Von Anfang an bemühte ich mich intensiv und systematisch um die Gewinnung kompetenter Autoren für Vegetationskunde (siehe Heinrich Walter „Die Vegetation der Erde“), für Ökologie, Naturschutz und Landschaftspflege und baute – gegen staatliche Bedenken – die stark gefragte Reihe „Umweltforschung“ mit ihren zum Teil brisanten Themen wie „Radioaktive Kontamination der Biosphäre“ oder „Ökologie und Ökonomie der Naturnutzung“ auf – sehr begehrt von Käufern, aber möglichst behindert von staatlichen Stellen. Letzteres traf in besonderem Maße auf den von Hugo Weinitschke 1987 herausgegebenen Titel „Naturschutz und Landnutzung“ zu, der heftigste Kontroversen mit Professor Seidel vom Berliner Ministerium für Wasserwirtschaft zu überstehen hatte.

Während meiner über 40 Jahre währenden Tätigkeit im Gustav Fischer Verlag sind laut eigener Statistik mehr als 1.000 Titel, davon natürlich zahlreiche auch in bearbeiteten Nachauflagen, durch meine Hände gegangen, d. h., die Manuskripte wurden von mir gelesen oder zumindest durchgesehen, und es wurde mit dem Autor über Inhalt, Form und Ausstattung gesprochen. Dabei ragen einige Titel aus den verschiedensten Gründen heraus.

Literatur zum Weiterlesen

Behrens, H. und Hoffmann, J. (Hg..): Naturschutzgeschichte(n) – Lebenswege zwischen Ostseeküste und Erzgebirge. Friedland 2013.

Schlüter, J.: Mein Leben. Eigenverlag. Jena 2011.

Links, Ch.: Das Schicksal der DDR-Verlage - Die Privatisierung und ihre Konsequenzen. Berlin 2009.

Zur Person

geboren 1931 in Stolp/Pommern

Staatsexamen als Oberschullehrerin Biologie 1956 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam – vorher Landesuniversität Brandenburg –

1956 Eintritt in den VEB Gustav Fischer Verlag Jena als Lektorin für Biologie, ab 1978 Lektoratsleiterin

ab 1990 Geschäftsführerin des Jenaer Verlagsteiles von dem mit Stuttgart vereinigten Gustav Fischer Verlag

1996 Ausscheiden aus dem regulären Arbeitsprozess