Zukunftsperspektiven der UHA Neubrandenburg

Eine zweite Forumsdiskussion wurde am 02.11.2022 einberaumt. Dieses fand ebenso vom Aktionsbündnis getragen im Programmkino Latücht in Neubrandenburg statt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Gerd Teschke, Rektor der Hochschule Neubrandenburg. Nach der einleitenden Rede von Bianka Bülow, die die Erinnerungsarbeit der Stadt Neubrandenburg verantwortet, hielt Dr. Christian Halbrock einen Vortrag über das Bauwerk, welches, so sein Fazit, die Einzigartigkeit der Stasipläne aufzeigt und somit in jeder Hinsicht schützenwert ist. Abschließend bot er den Vorschlag, ein zehnjähriges Moratorium anzuberaumen, um die Verwendung dieses einmaligen, gut erhaltenem Stasiunterdrückungsprototypen in einem angemessenen Rahmen öffentlich ausdiskutieren zu können.

 

Von den Trägern der Gedenkarbeit und Forschungsnetzwerken nahmen der Leiter des Forschungsverbunds „Landschaften der Verfolgung“ Dr. Christian Booß sowie Kathrin Engel vom Verein Neustrelitz Töpferstraße, zu dem seit 2021 eine vertrauensvolle Zusammenarbeit besteht, teil. Der Jurist und Historiker Dr. Booß stellte Verbindungen zu den weiteren UHAs der DDR anhand von Fotos und weiteren Abbildungen her und betonte in der abschließenden Diskussion die Größe und Bedeutung eines solchen Vorhabens wie die Neunutzung/Erhalt des Komplexes öffentlich zu diskutieren. Der Komplex wäre einerseits nicht leicht zu bespielen. Jedoch könnte dem eine Sonderstellung zukommen, als mondernste UHA des ehemaligen Ostblocks oder sogar vielleicht ganz Europas.*

 

Denkanstöße zur Nutzung in Bereichen der Demokratiepädagogik, politischen Bildung sowie Doppel- und Mehrfachnutzung wurden bereits von der Hochschule Neubrandenburg und deren Vertreter:innen der organisierten Zivilgesellschaft ins Gespräch gebracht. Nicht nur zivilgesellschaftliche, sondern auch öffentliche Träger wie das Bundesarchiv wären an einer musealen bzw. interaktiven, künstlerisch-kreativen Nutzung des Haftgebäudes interessiert.

 

* Dies bestätigt die Sichtweise von Dr. Harry Schulz, der die Meinung vertritt, der Bau erfülle auch heute die Kriterien eines Denkmals (s. Nordkurier vom 29. März 2021, Rubrik „Lokales“, S. 8).

Potentiale eines neuen Gedenkorts – Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit

Die Möglichkeit der Einrichtung einer Gedenkstätte oder anderer Formen des Gedenkens hatte die hastige Eingliederung in das bundesdeutsche Strafvollzugssystem 1990 faktisch verhindert. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern fördert das Gedenken an die UHAs in Rostock, Schwerin und Neustrelitz. Die größte und neueste UHA der DDR blieb hingegen bislang kaum beachtet. Die Stadtverwaltung hatte bereits mit dem Land Verhandlungen begonnen, um die Flächen der ehemaligen UHA einer anderen Verwendung zuzuweisen, wie zum Beispiel dem Sozialwohnungsbau. Online-Artikel im Nordkurier wie „Verhandlungen über Gelände von Ex-Stasi-Knast stehen bevor“ (Stallmeyer 2022a) oder auch „Was wird aus dem Neubrandenburger Stasi-Knast?“ (Stallmeyer 2022b) gehen auf besagte Verhandlungen und Überlegungen zur Verwendung des Komplexes ein. Der Abriss des Gebäudes schien eine ausgemachte Sache zu sein, obwohl auch Stimmen zu vernehmen waren, die den Aussagen des Gutachtens, das die Stadt Neubrandenburg in Auftrag gab, wonach der Komplex die Kriterien eines Denkmals nicht erfülle, widersprachen (Schulz 2021).

Aufbauend auf den entstehenden Dynamiken in der Stadt, brachte die Fraktion 90/Die Grünen einen Antrag für ein fünfjähriges Moratorium im Stadtparlament Neubrandenburg vor. Dort folgte kurz vor Weihnachten 2022 eine emotionale Debatte, welche das Gedenken und den Erhalt des Ortes zum Thema hatte. Gegen den Erhalt standen bauwirtschaftliche Interessen, welche vorrangig durch die neurechten „Bürger für Neubrandenburg“ vertreten waren. Diese wollten einen raschen Abriss der ehemaligen UHA mit dem Land „scharf weiterverhandeln“. Abgesehen von einer Abgeordneten zeigte die Partei „Die Linke“ wenig Interesse an dem Vorschlag eines Moratoriums. Dennoch wurde auf Grund der Initiative dieser Abgeordneten eine namentliche Abstimmung verlangt. Diese endete, wenn auch nur knapp, mit dem Ergebnis, für den Erhalt des Gebäudes im Sinne des Antrags von Bündnis 90/ Die Grünen ein fünfjähriges Moratorium anzuberaumen (Hertrich 2022). Diese neue Entwicklung bietet der Stadtöffentlichkeit den nötigen zeitlichen Spielraum, ein Gedenken, welches dem Ort angemessen ist und der irreversiblen Vernichtung des Ortes entgegenwirkt, zu gewährleisten. Die Verhandlungen mit dem Land müssen nun diesem Wählerwillen Folge leisten.

Durch die Vergangenheit in die Zukunft schauen. Zivilgesellschaftliches Netzwerk und Projektarbeit

Nun stellt sich die Frage, ob auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft in die bisher vertraulichen Verhandlungen miteinbezogen werden. Die besondere Situation des Moratoriums muss  dafür genutzt werden, Konzepte zu entwickeln, welche der Architektur und Geschichte der UHA Neubrandenburg in jeder Hinsicht gerecht werden. Nicht nur für die lokale Gedenkarbeit, sondern auch auf nationaler Ebene wurde ein wichtiges Zeichen gesetzt. Der Schutz eines solchen Objektes bietet neue Perspektiven, Geschichte neu aufzuarbeiten und zu erforschen.

 

Im Mai 2023 beginnt die Hochschule Neubrandenburg gemeinsam mit dem Digitalen Innovationszentrum der Stadt damit, das Areal sowie den Gebäudekomplex digital zu erfassen. Die foto- und videodokumentarische Erfassung soll in einem ersten Schritt einer digitalen Sicherung wesentlicher Gebäudebestandteile dienen. Darüber hinaus ist angedacht, einen virtuellen Gedenk- und Lehrpfad zu erstellen, der nicht nur für die Stadt, sondern auch für Schüler- und Studierendenprojekte zur Verfügung stehen soll. Leider gibt es vergleichsbar weniger museal verwertbare Zeugnisse des leisen Auflösens dieses Komplexes, es sind kaum originale Relikte aus den einzelnen Räumen erhalten. Laut Christoph Wunnicke (2010) wurde die BV Neubrandenburg ab Dezember 1989 vergleichsweise unspektakulär aufgelöst. Zu diesen epochalen Ereignissen gibt es nur wenig museal verwertbare Zeugnisse. Insbesondere die Aufarbeitung anhand von Zeitzeug:inneninterviews könnte eine wertvolle Möglichkeit sein, die noch verfügbaren Erinnerungen zum Ende des Schreckens an diesem Ort zu erhalten und für zukünftige Generationen nachvollziehbarer werden zu lassen.

Offene Fragen

Ungeklärt sind weiterhin Rolle und Einbettung der Bezirksverwaltung (BV) Neubrandenburg in den „Versorgungskomplex“. In der UHA hätten bis zu 300 Personen festgesetzt werden können aber die von dem nationalen Verteidigungsrat der DDR geforderte Kapazität in diesem Bezirk lag weit darüber. Der „Maschinenpark“, welcher sich neben der UHA befindet, lässt die Vermutung zu, dass vor Ort die Internierung von größeren Menschenmassen hätte durchgeführt werden können. Es ist dem lokalen Vertreter des VOS André Rohloff zu verdanken, dass die für dieses Areal typischen Wachtürme erhalten werden konnten und seit einigen Jahren unter Denkmalschutz stehen (Adresse s. Denkmalliste der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg: „Neustrelitzer Straße 120/Kirschenallee 30  ehem. Bezirksverwaltung des MfS, Verwaltungsgebäude des Garagenkomplexes, Mauerrest, Lagereinzäunung mit Wachtürmen“).

Weitere Perspektiven

Zu den Wachtürmen und vielen anderen Bereichen rund um die UHA auf dem Neubrandenburger Lindenberg muss weiter recherchiert werden. Die Aufarbeitung und Forschung mit Zeitzeug:innen und Aktionstagen bietet hierfür eine gute Basis und bietet Möglichkeiten der Vernetzung. Für die Realisierung eines weiteren Aktionstages braucht es Mitstreiter:innen und Kooperationspartner:innen. Mehrere Lehrende der Hochschule unterstützen diese Vernetzungen und sehen darin Potenzial für die zivilgesellschaftliche Entwicklung in Neubrandenburg.

 

Die Modernität der UHA Neubrandenburg wird besonders seit dem Angriff auf die Ukraine und der vermehrt umgreifenden Rückkehr zu stalinistischer Gewalt beeindruckend aktuell. Es liegt daher nahe, mit Blick auf die zukünftige Nutzung des Gebäudes Konzepte zu präferieren, welche sich in den Kontext der aktuellen Menschenrechtverletzungen in Europa einfügen lassen.

 

Die Stadt Neubrandenburg ist im Festjahr 2023, ihres 775. Jubiläums, daran interessiert, auch das Stigma einer „SED Hochburg“ loszuwerden. Die Entscheidung für das Moratorium ist dafür ein wichtiger Schritt für zivilgesellschaftliche Aufarbeitung. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, wie durch Gedenken und Erinnern an diesem neuen Ort die Stasiwillkür in Neubrandenburg aufgearbeitet werden kann.